Die Zeitspanne von 1380 bis 1520 war keine Herbstzeit des Mittelalters, sondern die Aera einer frappierenden religioesen Dynamik von grosser Vielfalt. Hoechsten Steigerungsgraden einer alle Koerpersinne aktivierenden Froemmigkeitspraxis und eines sakralen Kunstschaffens entsprach die Dynamik einer spirituellen Verinnerlichung. Berndt Hamm zeigt, dass es zu einer Entgrenzung der Theologie in Laienbereiche hinein und zu einer explosiven Verbreitung von Froemmigkeitsbildern und -texten kam. Sie sprachen Menschen an, die von der angstvollen Mentalitaet einer gesteigerten Jenseitsvorsorge angetrieben wurden und nach kirchlichen Gnadenhilfen verlangten. Diese Heilssorge wurde vom verstaerkten Bemuehen um eine tiefgreifende Seelsorge-Reform aufgenommen. Ohne die Kenntnis der kraftvollen Religionsdynamik vor 1520 sind die Antriebskraefte der von Luther angestossenen Reformation nicht zu verstehen.